Vorwort der Schriftstellerin Juli Zeh
„Mit den Menschenrechten ist es eine komische Sache. Ähnlich wie bei den zehn Geboten meint jeder zu wissen, was drinsteht. Soll er sie aber zitieren, kommt er zu seiner eigenen Überraschung nicht über die ersten Artikel hinaus. Na ja, das mit der Würde. Dann Gleichheit, Leben, Freiheit, vielleicht noch Sklaverei- und Folterverbot. Danach, seien wir ehrlich, wird´s dünn. Aber die Menschenrechte sind ein ganz besonderer Text. Sie sind eine Botschaft, die die Menschheit an sich selbst geschrieben hat – und möglicherweise die einzige Botschaft der Welt, bei der es nichts ausmacht, wenn niemand ihren Inhalt kennt. Egal, wo wir sie aufschlagen, hineinblättern und zu lesen beginnen, wir können uns darauf verlassen, mit dem Gelesenen einverstanden zu sein. Ausgeschlossen, dass wir denken wollten: Ich lehne es ab, das Eigentum zu schützen! Oder: Meiner Meinung nach ist die Redefreiheit eine schlechte Idee. Es geht schon längst nicht mehr darum, die Menschenrechte gut oder schlecht zu finden. Sie sind gut, scheint uns, ja, sie sind gewissermaßen ein Ausdruck des Guten an sich.
Menschenrechte sind kein Luxusspielzeug für verwöhnte Wohlstandskinder. Sie sind keine nette, flüchtige Idee, die es im Ernstfall dem realpolitisch Eigentlichen unterzuordnen gilt. Sie sind über Hunderte von Jahren gewachsen, ein Ausdruck einer epochenlangen Geistesgeschichte.“
Juli Zeh
Foto: © Peter von Felbert